
Es geht hier zwar um Vampyr, ich beginne aber mit einer kleinen Anekdote aus Skyrim: Eines schönen Tages in Weißlauf dachte sich der Dovakhiin (= ich), es sei doch einmal ganz witzig, alle Wachen im Fürstentum zu beseitigen. Getötete NPCs respawnen in Skyrim nicht, also ran ans Werk. Sehr mühsam war das teilweise, aber letztendlich war das ganze Fürstentum frei von den Männern des Jarl. Also auf zu ihm, ihn ansprechen und ... nichts. Der Jarl sagte einfach nur seine normalen Dialog-Zeilen auf. Damit hätte ich trotz des eigentlichen Detailreichtums des Spiels rechnen sollen, aber enttäuscht war ich nach den Mühen schon.
Und hier kommt Vampyr ins Spiel. Töte ich hier einen NPC, reagiert sein gesamtes Umfeld darauf. Jeder NPC hat nicht nur eine ausgeprägte Vergangenheit, sondern auch tatsächlich Leute, die ihm nachtrauern. Manche treten beim Tod eines Angehörigen sogar der Wache von Priwen bei – oder werden beim Verlassen des gesunden Gebietes mit der Epidemie infiziert und zu Skals.

Auch auf der Webseite des Spiels kann gemeuchelt und ausgesaugt werden, woraufhin die Auswirkungen des Todes eines Bürgers auf andere Bürger gezeigt werden.
Darüber hinaus werde ich im Verlauf des Spiels immer wieder auf vorangegangene Entscheidungen angesprochen. Ja, das Ende ist sogar individuell darauf ausgerichtet, welche Entscheidungen ich getroffen habe, welche Bürger ich ausgesaugt habe und wie viele Bezirke ich feindlich gemacht habe – ganz davon abgesehen, dass sich je nach Anzahl der toten Bürger die Handlung ohnehin komplett verändert. Ich habe jeden einzelnen NPC über die Klinge springen lassen (was aber auch daran lag, dass ich zu Beginn das System mit den Stützen noch nicht so ganz durchschaut hatte; es gab viele Kollateralschäden 😁) und entsprechend sah mein Ende aus. Ein anderes Ende hätte ein mordender Jonathan gar nicht erleben können und auch wenn ich eigentlich ein Fan einer konsistenten Geschichte bin, so finde ich das doch gut. Wie kann man auch in einem Spiel, in dem man Monster und Wohltäter immer abwechselnd verkörpern kann, unabhängig vom eigenen Verhalten, immer das gleiche Ende sehen?
An einigen Stellen schwächelt das System natürlich. Sich bewegende NPCs in Krankenhaus-Betten, die ich nicht einmal in der Vampirsicht wahrnehme, widerlegen das Versprechen, es gäbe keine namen- und gesichtslosen Bürger in Vampyr („There are no nameless, faceless citizens in Vampyr“) dann doch. Auch die Gegner sind namen- und gesichtslos, was schade ist, denn sie sind alle Opfer der Umstände oder zumindest mit verständlichen Gründen unsere Feinde. Und manche Charaktere haben ein Schicksal, welches sie nicht erfüllen können. Ich würde gerne Harvey Fiddick operieren können. Und Mortimer Goswick sollte sich das Leben nehmen können, wenn der Spieler in seiner Quest die falsche Entscheidung trifft. An diesen Stellen geht der Ansatz von Vampyr nicht genug in die Tiefe.
Trotzdem hat Vampyr einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Zwar sind die NPCs ein zentraler Gameplay-Aspekt, es wäre aber schön, wenn auch Spiele, in denen sie das nicht sind, dem Beispiel von Vampyr folgen würden. Zwar macht sich ein Hinweis-System wie dieses in kaum einem anderen Kontext wirklich gut, aber das muss ja auch gar nicht sein. Vampyr hat auch gezeigt, wie die Entscheidungen des Spielers und die Persönlichkeiten der NPCs sich gut in die Handlung einfügen können. Natürlich benötigt es Ressourcen, für mehrere Dialoge mehr Zeilen aufzunehmen als bisher. Aber das sollte bei AAA-Spielen doch schon längst kein Problem mehr sein. Mich würde es als Entwickler ärgern, wenn Väter nicht auf den Tod ihrer Kinder reagieren oder ähnliche Situationen entstehen können. In dieser Hinsicht könnte Vampyr wegweisend für andere Spiele sein. Könnte. Wird aber vermutlich nicht. Warum so pessimistisch? Die Sache ist leider, dass das Details sind, die immer erst zutage treten, wenn der Spieler das Spiel schon gekauft hat. Zum Großteil auch, nachdem die meisten Tester schon längst am Schreiben ihrer Rezension sind, nicht mehr am Spielen. Sie bleiben also in Rezensionen unerwähnt und bleiben auch vielen Spielern verborgen. Die Investition in solche Details zahlt sich nur für Serien aus und macht sich dort auch erst beim nächsten Teil bemerkbar – der wie bei Assassin’s Creed oder Star Wars nicht unüblich auch einmal eine komplett andere Hauptzielgruppe hat. Ich kann es keinem Publisher verübeln, hier keine Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Schade ist es aber trotzdem. So bleiben NPCs wohl weiter bedeutungs- oder sogar namenlos. Und ich kann vermutlich in TES VI nach dem Meucheln der Wachen wieder enttäuscht den immer gleichen Satz des Jarl zu hören bekommen.